LAV Magazin 2024

Magazin 75. Lateinamerika-Tag Volle Kraft voraus! 6. & 7. November in Hamburg

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4 Grußworte 12 Hamburg als Investitionsstandort Europas Vorzeigemetropole für Weltoffenheit, Wirtschaftswachstum und Wasserstoff 16 Stiftung Wissenschaft und Politik Potenziale wecken, Chancen nutzen – Mexikos erste Frau im Präsidentenamt 18 Giga - Institut für Lateinamerika-Studien Geopolitische und geoökonomische Interessen Europas in Lateinamerika 22 Agentur für Wirtschaft und Entwicklung – AWE Flagge zeigen – ein Interview mit Susanne Friedrich 26 Carl Moses Javier Milei und wie er die Welt sieht 28 Commerzbank Neue Wege im globalen Handel – Zukunftsmarkt Lateinamerika 30 Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft – DEG DEG fördert nachhaltige Entwicklung: ImpactConnect 32 Deutsche Bank 150 Jahre zuhause und in der Welt Der Welthandel ist im Umbruch 33 PricewaterhouseCoopers Außenwirtschaftsförderung durch Investitionsgarantien des Bundes 34 BASF Agricultural production and the commitment to Biodiversity in Latin America 36 Kühne Logistics University Rewiring Global Supply Chains Mastering the 5 C's 38 Germany Trade and Invest – GTAI Steuerreform in Brasilien 40 75 Jahre Geschichte und Geschichten Carl Otto Merkel: Ein Leben für den Handel und die Verbindung zu Lateinamerika Hinter den Kulissen des Gala Dinners: Denk- und Merkwürdiges aus vielen Jahren Erinnerungen des LAV Teams: Miriam Hunfeld Programm 46 Lateinamerika-Tag 2024 Multilaterale Entwicklungsbanken und die Privatwirtschaft 48 Día de América Latina 2024 Bancos multilaterales de desarrollo y el sector privado 50 Lateinamerika-Tag 2024 Herausforderungen in der Logistik: Umstrukturierungen und Lösungsansätze 52 Día de América Latina 2024 Retos de la logística: Reestructuración y Enfoques de soluciones 54 Sponsoren / Patrocinadores 57 LAV-Young Professionals Die Young-Professionals des LAV – eine wachsende Gemeinschaft 58 Impressum / Pie de imprenta Lateinamerika-Tag 2024 03 Inhaltsverzeichnis / Índice

Wieder einmal gilt – alles bleibt anders. Die Beziehungen zwischen Deutschland, der EU und Lateinamerika sind in den letzten Monaten nicht einfacher geworden – die Aufbruchstimmung untergegangen in den neuen Herausforderungen, denen Europa und Deutschland derzeit die Stirn bieten müssen. In Lateinamerika findet dazu ein Auseinanderdriften von Linksautokratien und neoliberalen Führungen statt – was vor allem die geopolitische Aufteilung zwischen den Wirtschaftspartnern China auf der einen und den USA auf der anderen Seite verdeutlicht. Größere Staaten wie Mexiko und Brasilien suchen ihren eigenen Weg und so steht Lateinamerika Europa derzeit freundlich offen, doch neutral gegenüber. Das Interesse Deutschlands an Lateinamerika muss deshalb weiterhin deutlich kommuniziert und umgesetzt werden, will unser Land zukunftsfähig bleiben. Da passt es, dass Bundeskanzler Olaf Scholz vor kurzem zu einem raschen Abschluss des von einigen europäischen Ländern abgelehnten Handelsabkommens zwischen der Europäischen Union (EU) und dem Mercosur aufgerufen hat. Er nannte es „inakzeptabel“, dass die EU „in der aktuellen geopolitischen Lage“ keine neuen Freihandelsabkommen schließe und betonte, es brauche: „…Pragmatismus und Flexibilität, denn das Abkommen mit dem Mercosur ist für die Diversifizierung und Stärkung der Widerstandsfähigkeit unserer Wirtschaft unerlässlich“. Jahrzehnte lang bekannte wirtschaftspolitische Strukturen ändern sich. Deutschland und Europa müssen sich ‚neu‘ positionieren und dabei auch ihr Selbstverständnis neu definieren. Auf Augenhöhe partnerschaftliche Beziehungen zu stabilisieren, bedeutet auch zu lernen und neue Wege gemeinsam zu gehen. Wenn wir dazu bereit sind, empfängt uns Lateinamerika mit offenen Armen. Dies stellt eine große Chance für unsere Unternehmen dar, die nicht nur multiplen globalen, sondern vor allem auch europäischen Entwicklungen begegnen müssen. Diesbezüglich Unterstützung böte den Unternehmen von deutscher Seite aus vor allem die Neubewertung einiger Regularien, die inhaltlich relevant, doch zu komplex in der Berichterstattung Hemmschwellen darstellen und unsere Wirtschaft im Moment lähmen statt fördern. Wir brauchen Motivation, positive Anreize und entsprechende politische Begleitung. Nichts ist demnach einfacher geworden. Doch das war es bekanntlich nie. Wir unterstützen tatkräftig, mit allen Mitteln und gemeinsam mit unseren zahlreichen Partnern unsere Unternehmen dabei, ihre Optionen auszuweiten und ihre Chancen wahrzunehmen. Deshalb lautet unser Motto auf dem Lateinamerika-Tag 2024: Mit voller Kraft voraus! Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Lateinamerika-Tag! Seien Sie herzlich willkommen! Ihr Arthur E. Darboven Vorsitzender des Vorstands, Lateinamerika Verein e.V. Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Mitglieder und Freunde des Lateinamerika Vereins, Arthur E. Darboven Grußwort des Vorstandsvorsitzenden des Lateinamerika Verein e.V. 04 Grußworte zum Lateinamerika-Tag 2024

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Hamburg und Lateinamerika verbindet eine lange gemeinsame Handelsgeschichte. Seit rund 400 Jahren werden über den Hamburger Hafen Rohstoffe und Agrarprodukte wie Kaffee, Kakao und Bananen aus lateinamerikanischen Ländern nach Europa gebracht und Waren aus Europa nach Südamerika ausgeführt. In Zukunft sollen auch Erneuerbare Energien über den Atlantik transportiert werden – also grüner Wasserstoff, Ammoniak oder E-Methanol. Hamburg hat das Ziel, ein führender Standort für den Import und den Handel mit Wasserstoff in Europa zu werden. Dafür investieren wir in leistungsfähige Infrastruktur und moderne Technologien. Zugleich bauen viele lateinamerikanische Länder ihre Wind- und Solarenergie aus und schaffen die Voraussetzungen für die Produktion und den Export regenerativer Energieträger. Aufgrund unserer historisch engen Verbindungen und gemeinsamer Werte rückt Lateinamerika in der aktuellen geopolitischen Lage stärker in den Fokus der deutschen Wirtschaft und ihrer international ausgerichteten Unternehmen. Mit dem Lateinamerika-Verein und einem großen Netzwerk an internationalen Partnern und Organisationen ist Hamburg ein zentraler Ort der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den Staaten Lateinamerikas. Der diesjährige Lateinamerika-Tag greift das große Potenzial unserer zukünftigen Zusammenarbeit auf und steht unter dem Motto „75 Jahre – Volle Kraft voraus!“. Es geht unter anderem um den Umgang mit kritischen Rohstoffen und die Frage, wie Unternehmen an der Transformation der lateinamerikanischen Wirtschaft mitwirken und eine nachhaltige Industrialisierung und Energiegewinnung fördern können. Damit setzt der Lateinamerika-Tag wichtige Impulse für eine stabile und zukunftsfähige Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den Ländern Südamerikas. Im Namen des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg wünsche ich allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des 75. Lateinamerika-Tages eine interessante Konferenz, viele gute Gespräche mit neuen Kontakten und einen schönen Aufenthalt in Hamburg. Dr. Peter Tschentscher Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg Schirmherr des 75. Lateinamerika-Tags Sehr geehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Lateinamerika-Tages, Dr. Peter Tschentscher Grußwort des Ersten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg 06 Grußworte zum Lateinamerika-Tag 2024

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gibt es einen passenderen Veranstaltungsort für den 75. Lateinamerika-Tag als Hamburg? Von der Hansestadt aus stachen schon im vorletzten Jahrhundert die Handelsschiffe nach Mittel- und Südamerika in See. Ganz so lange gibt es den Lateinamerika-Tag zwar noch nicht, aber seit nunmehr 75 Jahren wird er vom Lateinamerika Verein e.V. veranstaltet. Dem Verein möchte ich deswegen für seine langjährige, unermüdliche und hervorragende Arbeit danken: Er hat einen enormen Beitrag zu Vertiefung und Ausbau der deutschen Beziehungen mit Lateinamerika geleistet. Trotz der geografischen Distanz verbindet unser Land und die Länder Lateinamerikas viel – und das nicht nur historisch und kulturell. Auf beiden Seiten des Atlantiks stehen wir vor denselben Herausforderungen: Die Transformation der Wirtschaft im Angesicht des Klimawandels, der auch in Lateinamerika zunehmend sichtbar wird; die Umstellung der Energieversorgung auf regenerative Quellen; die Digitalisierung, die in allen Wirtschafts- und Lebensbereichen neue Möglichkeiten eröffnet und den Bürgerinnen und Bürgern zugleich eine immense Bereitschaft zur Veränderung abverlangt. Ja, zur Beantwortung der Frage, wie all diese Herausforderungen am besten zu meistern sind, bestehen dies- und jenseits des Atlantiks teils unterschiedliche Auffassungen, wir sind nicht immer einer Meinung. Zugleich ist klar: Wenn wir bereit sind, miteinander im Gespräch zu bleiben, dann können Deutschland, Europa und Lateinamerika gemeinsam erfolgreich sein und wechselseitig voneinander profitieren. Wir wollen unsere Zusammenarbeit daher in einer für alle Seiten gewinnbringenden Weise ausbauen – und zwar im Wege des offenen, von gegenseitigem Respekt geprägten Dialogs. Seit dem letzten LateinamerikaTag haben wir insoweit bereits einige Meilensteine erreicht – wie den Abschluss der Partnerschaft für eine sozial gerechte und ökologische Transformation mit Brasilien und die Unterzeichnung des modernisierten Rahmenabkommens der EU mit Chile. Bei einem anderen wichtigen gemeinsamen Projekt, dem Assoziierungsabkommen der EU mit dem MERCOSUR, setzt sich die Bundesregierung nachdrücklich für den raschen Abschluss der Verhandlungen ein. Der Lateinamerika-Tag in Hamburg bietet den Raum, um über all diese und weitere Themen miteinander ins Gespräch zu kommen. Nutzen Sie diese Chance! In diesem Sinne wünsche ich Ihnen spannende Begegnungen – und dem Lateinamerika Verein allzeit gute Fahrt sowie immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel. Auf die nächsten 75 Jahre! Ihr Dr. Robert Habeck Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Liebe Leserinnen und Leser, liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Lateinamerika-Tages, Dr. Robert Habeck Grußwort des Bundesministers für Wirtschaft und Klimaschutz 08 Grußworte zum Lateinamerika-Tag 2024

WAS WIR TUN, UM DIE ZUKUNFT DES KAFFEES SICHERZUSTELLEN ASEGUREMOS JUNTOS EL FUTURO DEL CAFÉ! LASSEN SIE UNS GEMEINSAM DIE ZUKUNFT DES KAFFEES SICHERN! EXPLORE LO QUE HACEMOS PARA ASEGURAR EL FUTURO DEL CAFÉ TODOS SABEMOS QUE LA INDUSTRIA DEL CAFÉ SE ENFRENTA A GRANDES RETOS, PERO ESTAMOS CONVENCIDOS DE QUE LOS ESFUERZOS CONJUNTOS PUEDEN LLEVARNOS POR EL CAMINO CORRECTO. WIR ALLE WISSEN, DASS DIE KAFFEEINDUSTRIE VOR GROSSEN HERAUSFORDERUNGEN STEHT, ABER WIR SIND ÜBERZEUGT, DASS GEMEINSAME ANSTRENGUNGEN UNS AUF DEN RICHTIGEN WEG FÜHREN KÖNNEN. nkg.coffee/future

im Namen der Lateinamerika Initiative der Deutschen Wirtschaft (LAI) begrüße ich Sie herzlich zum 75. Lateinamerika-Tag (LAT). Dieses Jubiläum bedeutet einen wichtigen Meilenstein und spiegelt unsere über 70-jährige erfolgreiche Partnerschaft mit Lateinamerika wider. Es bietet uns die Gelegenheit, neue Perspektiven und Chancen zu entdecken, die sich uns heute bieten. Die dynamischen geopolitischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre haben Lateinamerika wieder in den Fokus der deutschen Wirtschaft gerückt. Die Region befindet sich in einem tiefgreifenden Transformationsprozess, der von Reindustrialisierung und Anpassung an neue Umwelt- und Klimastandards geprägt ist. Diese Entwicklungen eröffnen deutschen Unternehmen weitreichende Chancen in Bereichen wie nachhaltige Energiewirtschaft, Digitalisierung und industrielle Produktion. Vor kurzem hatte ich die Gelegenheit, Guatemala, Costa Rica und Peru zu besuchen, nachdem ich im Januar bereits eine Woche zu Gesprächen in Argentinien war. Diese Reisen haben mir eindrucksvoll gezeigt, welch großes Potenzial in diesen aufstrebenden Märkten steckt und wie groß das Interesse an wirtschaftlichen Partnerschaften mit Deutschland ist. Die Gespräche vor Ort haben die positiven Perspektiven und vielfältigen Chancen für deutsche Unternehmen deutlich gemacht. Gleichzeitig setzen wir uns aktiv für einen zügigen Abschluss des MercosurAbkommens ein. Ein erfolgreicher Abschluss dieses Abkommens wird unseren Zugang zu wichtigen Märkten erweitern und die wirtschaftliche Integration vorantreiben. Unser heutiger LAT spiegelt unsere gemeinsame Vision einer stabilen und innovativen wirtschaftlichen Zukunft wider. In den nächsten Tagen werden wir uns intensiv mit Strategien befassen, die Investitionen in Schlüsselindustrien und die Finanzierung von Transformationsprozessen unterstützen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Klimaresilienz, dem Zugang zu kritischen Rohstoffen wie Lithium und der Stärkung industrieller Wertschöpfungsketten. Die Rolle der internationalen Entwicklungsbanken bei der Finanzierung dieser Entwicklungen ist entscheidend. Deutsche Unternehmen sind bereit, die wirtschaftliche Transformation Lateinamerikas aktiv mitzugestalten und die vielfältigen Geschäftspotenziale der Region zu nutzen. Lassen Sie uns die nächsten Jahre dieser erfolgreichen Partnerschaft mit Entschlossenheit und unternehmerischem Engagement gestalten. Ich freue mich auf die kommenden Diskussionen und den Austausch mit allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Herzliche Grüße, Ingo Kramer Vorsitzender der Lateinamerika-Initiative der Deutschen Wirtschaft (LAI) Liebe Leser*innen, Sehr geehrte Gäste, Ingo Kramer Träger der LAI: Grußwort des Vorsitzenden der Lateinamerika-Initiative der Deutschen Wirtschaft (LAI) 10 Grußworte zum Lateinamerika-Tag 2024

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Reeperbahn und Elbchaussee, hanseatische Handelshäuser und High Tech: Hamburg war schon immer voll faszinierender Gegensätze. Mit ihrem Hafen, bis heute das Herz der Elbmetropole, ist sie zu Wohlstand gekommen. Ihre Lage am Wasser, ihr hoher Freizeitwert und eine starke Wirtschaft, die das Thema Klimaneutralität vorantreibt, machen Hamburg heute zu der Stadt, die Deutschlands glücklichste Einwohner hat. Nur wenige wissen allerdings, dass Hamburg neben der Speicherstadt – dem weltgrößten historischen Lagerhauskomplex und heutigem Weltkulturerbe – rund um den Hafen auch Deutschlands größtes zusammenhängendes Industriegebiet beheimatet. Zum wiederholten Mal hat sie es beim Ranking des Foreign Direct Investment Magazine, einer Tochter der Financial Times, unter den europäischen Großstädten auf den zweiten Platz geschafft. Das Ziel der ambi- tionierten Wachstumsstrategie ist es, Hamburg bis 2045 zur ersten klima- neutralen Industriestadt Deutschlands zu machen. Bis 2030 soll der CO2-Ausstoß um 70 Prozent reduziert werden. Doch so sehr die Stadt nach außen oft norddeutsch-zurückhaltend auftritt, so sehr hat sie ihr hanseatisches Erbe verinnerlicht. Es steht für Entdeckergeist, Weltoffenheit und den Willen, nie stillzustehen. Und genau das ist auch die Basis für die seit Jahrhunderten starke Verbindung Hamburgs mit den Ländern Lateinamerikas. Ihr sichtbares Symbol ist eines der Wahrzeichen der Stadt: das Chilehaus. Das ikonische Gebäude mit der spitzen Ecke, das einem Passagierschiff nachempfunden ist, ist nicht nur unverwechselbar, sondern steht auch für Aufbruch und beste Handelsbeziehungen. Denn sein Erbauer Henry Brarens Sloman wanderte mittellos nach Chile aus, stieg in den Handel mit dem „weißen Gold“ Salpeter ein und kam als reicher Mann zurück. 1924 war das Chilehaus fertig – und Hamburg um eine Attraktion reicher. Hamburg und Lateinamerika: seit Jahrhunderten beste Verbindungen Die Beziehungen zwischen Hamburg und Lateinamerika reichen jedoch bereits bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts zurück. Händler aus Spanien und Portugal ließen sich im liberalen Hamburg nieder und führten von hier aus ihre Geschäfte. 1826 erkannte Hamburg als erste Stadt die Staaten Lateinamerikas an und baute Handelsbeziehungen beispielsweise zu Brasilien oder Mexiko auf. Angelockt von exotischen Waren und vielfältigen Möglichkeiten machten sich Hamburger Geschäftsleute vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf den Weg auf die andere Seite der Welt. Die von ihnen gegründeten Handelsfirmen spielten eine zenChilehaus trale Rolle im Kaffee- und Zuckerhandel und etablierten die Stadt und den Hafen als bedeutenden Knotenpunkt im Überseegeschäft. Hamburger Hafen als Tor zu Lateinamerika Auch Hamburger Reedereien und Logistikunternehmen trugen zu den blühenden Handelsbeziehungen bei. Schifffahrtsgesellschaften wie Hapag- Lloyd, die 2014 das Containergeschäft der chilenischen Reederei CSAV (Compañía Sud Americana de Vapores) übernahm und regelmäßige Verbindungen zu Häfen in Brasilien, Argentinien und Chile anbietet oder Logistiker wie Kühne + Nagel sorgen seit vielen Jahren dafür, dass Warenströme zwischen Hamburg und den lateinamerikanischen Hubs effizient und zuver- lässig abgewickelt werden. Zu den wichtigsten Gütern, die über den Hamburger Hafen gehandelt werden, gehören neben Kaffee auch Bananen, vor allem aus Ecuador und Costa Rica. Außerdem werden wichtige Rohstoffe wie Kupfer, z.B. aus Chile, oder Erze über den Hafen umgeschlagen. Umgekehrt öffnet Lateinamerika mit rund 660 Millionen Menschen für die Metropolregion Hamburg Märkte mit riesigem Potenzial. Exportiert werden vor allem Maschinenbauprodukte, Mineralölerzeugnisse, Chemikalien und Flug- und Fahrzeuge. Das Resultat aus engen wirtschaftlichen Beziehungen: Im Jahr 2020 lag das geschätzte Handelsvolumen bei etwa 10 Milliarden Euro. Unter den lateinamerikanischen Ländern ist Brasilien der wichtigste Handelspartner für die Hansestadt. Rund 480 Hamburger Unternehmen haben Geschäftsbeziehungen in dem Amazonasstaat, 108 Firmen sind direkt vor Ort vertreten. Rund 320 Hamburger Unternehmen, darunter beispielsweise der Kupferproduzent Europas Vorzeigemetropole für Weltoffenheit, Wirtschaftswachstum und Wasserstoff 12 Hamburg als Investitionsstandort

Das HamburgAmbassadorProgramm Von New York bis Tokio, von Stockholm bis Buenos Aires – seit 2005 engagieren sich die ehrenamtlichen und vom Ersten Bürgermeister berufenen HamburgAmbassadors weltweit für die Interessen der Hansestadt. Mit ihrem Wissen, ihren Netzwerken und ihrer besonderen Expertise repräsentieren sie die Freie und Hansestadt Hamburg authentisch im Ausland. Die HamburgAmbassadors leben und arbeiten in Städten mit besonderem Bezug zu Hamburg – sei es wirtschaftlich, wissenschaftlich oder kulturell. Durch ihre persönliche Stimme geben sie der Stadt ein Gesicht und vermitteln, was Hamburg bewegt. Aktuell setzen sich 33 Botschafterinnen und Botschafter aus 26 Ländern für das Ehrenamt ein. In Lateinamerika gibt es zurzeit Vertreter in Brasilien, Argentinien, Peru und Kuba.Seit vielen Jahren dabei ist auch Matthias Kleinhempel, Sprecher der HamburgAmbassadors, mit Sitz in Buenos Aires. Herr Kleinhempel, warum sind die HamburgAmbassadors so wichtig? Der Wert dieses Netzwerks ist für Hamburg kaum zu ermessen. Beim Thema Internationalisierung sind die HamburgAmbassadors weltweit die Augen und Ohren der Stadt. Durch ihre Expertise in Bezug auf den jeweiligen Markt liefern sie wertvolle Impulse und Kontakte. Sie engagieren sich seit vielen Jahren von Argentinien aus. Warum ist der Investitionsstandort Hamburg gerade für Unternehmen aus Lateinamerika attraktiv? Hamburg ist ein zentraler Knotenpunkt für die europäische und internationale Logistik und eine der reichsten Regionen in der EU mit exzellenter zentraler Lage in Nordeuropa – das macht die Stadt zu einem bedeutenden Markt. Die langjährigen Beziehungen zur Region, die Konsulate und Institute sowie die kulturelle Verbindung machen Hamburg für Lateinamerikaner zu einer Art Heimspiel. Nicht zuletzt beweisen Top-Platzierungen in verschiedenen Rankings immer wieder, wie lebenswert Hamburg ist. Der Erste Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher war 2022 mit einer großen Wirtschaftsdelegation 2022 in Argentinien, Uruguay und Chile, darüber hinaus gibt es viele weitere Partnerschaften und Kooperationen mit Ländern in Lateinamerika. Gibt es neue Entwicklungen, von denen Sie uns schon berichten können? Trotz der jahrhundertealten Verbindung entdecken sich Hamburg und Lateinamerika gerade neu. Dabei spielen Faktoren wie Geopolitik, Lieferkettensicherheit und Ressourcen wie Lithium, Agrarprodukte und vor allem grüner Wasserstoff eine Rolle. Projekte in diesen Sektoren laufen an und werden in den Ländern Lateinamerikas jetzt auch mehr gefördert. Ein Beispiel ist die in Argentinien gerade beschlossene gesetzliche Förderung von Großinvestitionen mit innovativen Steuer- und Wechselkursvorteilen und Bestandsgarantien. Besonders interessant ist auch die Startup-Szene, die in den Ländern Lateinamerikas sehr aktiv ist (allein Argentinien hat zwölf Einhörner). Die start2 Group (der frühere German Accelerator) hat in Buenos Aires sein Büro für Lateinamerika eröffnet und fördert die Internationalisierung deutscher und lateinamerikanischer Startups. Es tut sich gerade sehr viel Positives. Hamburger Hafen Matthias Kleinhempel LAV-Commissioner Argentinien mkleinhempel@kleinhempel-partners.com 13

Ingrid Meyer-Bosse Leitung Unternehmenskommunikation Hamburg Marketing & Hamburg Invest und -wiederverwerter Aurubis, sind am Wirtschaftsverkehr mit Chile beteiligt, gut 100 im Land selbst präsent. Gemeinsames Engagement für Wasserstoff und Erneuerbare Energien Aber die Beziehungen zwischen Hamburg und Lateinamerika gehen weit über den reinen Handel hinaus. Auch in Sachen Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Erneuerbare Energie kooperiert die Hansestadt mit verschiedenen Staaten in der Region. Dazu tragen auch diverse bilaterale Abkommen bei. So unterschrieb Hamburgs Erster Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher im August 2022 während einer Delegationsreise zusammen mit der Hamburg Port Authority eine Kooperationsvereinbarung mit dem chilenischen Energieministerium zum Aufbau eines strategischen Handelskorridors für grünen Wasserstoff. Vereinbart wurde die gemeinsame Schaffung der erforderlichen Infrastruktur, Technologien und Logistikketten für eine effiziente grüne Wasserstoffwirtschaft. Chile verfolgt einen ambitionierten Fahrplan für den Ausbau Erneuerbarer Energien mit dem Ziel, bis 2040 weltweit einer der größten Exporteure von grünem Wasserstoff zu werden – und ist damit ein perfekter Partner für die Hansestadt, die dessen Produktion, Import und Nutzung aktiv vorantreibt. Aber auch andere Länder Lateinamerikas wie Argentinien oder Uruguay haben hervorragende Voraussetzungen für die Produktion und den Export von grünem Wasserstoff. Mexiko und Hamburg haben ebenfalls gemeinsame zukunftsweisende Interessen — vor allem in den Bereichen Erneuerbare Energien und Wasserstoff, IT oder Luftfahrt. Auch in Sachen Nachhaltigkeit und Umweltschutz floriert die Zusammenarbeit mit Lateinamerika. In Brasilien hat Hamburg an verschiedenen Projekten, u.a. in São Paulo, mitgearbeitet, um Klimaschutzinitiativen zu unterstützen. Nicht umsonst hat die EU-Lateinamerika/Karibik-Stiftung (EU-LAC) ihren Sitz in der Hansestadt. Vitale lateinamerikanische Community in der Stadt an der Elbe Darüber hinaus ist die lateinamerikanische Gemeinschaft in Hamburg auch ein bedeutender Teil der städtischen Multikulturalität. Für geschätzt rund 15.000 Menschen in Hamburg ist Portugiesisch oder Spanisch die Muttersprache. Sie bringen das Lebensgefühl von Mittel- und Südamerika in die Metropole im Norden und bereichern die Stadt mit ihrer musikalischen, künstlerischen und kulinarischen Vielfalt – das Portugiesenviertel mit seinen zahlreichen auch brasilianischen und lateinamerikanischen Restaurants ist bei Einheimischen und Touristen gleichermaßen beliebt. Viele Mitglieder der lateinamerikanischen Community sind in Organisa- tionen und Vereinen aktiv, die kulturelle Veranstaltungen und soziale Projekte wie das Lateinamerika-Festival organisieren. 16 lateinamerikanische Länder sind über ihre Konsulate in Hamburg vertreten, Léon in Nicaragua ist seit 1989 offizielle Partnerstadt. Das über Jahrhunderte gewachsene Vertrauen und das geteilte Interesse an nachhaltigen Zukunftstechnologien bieten beste Voraussetzungen für eine noch engere Verbindung zwischen Hamburg und Lateinamerika – und für eine erfolgreiche gemeinsame Zukunft. Moorburg 14 Hamburg als Investitionsstandort

Mexiko ist ein Land mit großen Ungleichheiten, und es ist auch ein Land, in dem die Produktivität seit Jahrzehnten stagniert. Unter der Regierung von Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO) hat das Land eine Phase des Wandels durchlaufen, die durch eine Neugestaltung der Rolle des Staates in der Wirtschaft, die Umsetzung ehrgeiziger Sozialprogramme und eine auf Autarkie ausgerichtete Energiepolitik gekennzeichnet war. In der Bilanz dieser sechs Jahre ist deutlich geworden, dass die Kombination aus makroökonomischer Stabilität und zunehmender Einbindung in die Weltwirtschaft für das Wachstum nicht ausreicht und dass eine Reihe von Sozialprogrammen zwar die politische Legitimität stützen, aber keine hinreichenden Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung zu setzen vermögen. Die Herausforderung für die neue Präsidentin Claudia Sheinbaum, die als promovierte Umweltwissenschaftlerin von ihren Mitarbeitern gerne als „la doctora“ bezeichnet wird, besteht darin, die Sozialausgaben so anzugleichen, dass die finanzielle Stabilität des Landes nicht gefährdet wird, das bereits mit einem wachsenden Defizit konfrontiert ist. Das Land braucht eine Strategie, die beide Probleme gleichzeitig angeht. Wenn Sheinbaum bereit ist, umzusteuern und einen integrativen, produktivitätsfreundlichen Pfad zu beschreiten, könnte sich ihre Präsidentschaft als wirklich transformativ erweisen. Sie muss sich mit einer Reihe von Herausforderungen auseinandersetzen, die von der Inflation und der Abschwächung der privaten Investitionen bis hin zur Unsicherheit im internationalen Handel und der Notwendigkeit einer nachhaltigeren Energiewende reichen. 1. Die erste Aufgabe: Begrenzung von Inflation und Haushaltsdefizit Die Inflation war in den letzten Jahren eines der Haupthindernisse, das sowohl die Verbraucher als auch die Unternehmen belastete. Im Juli dieses Jahres lag die Inflation in Mexiko bei 5,6 Prozent (auf Jahresbasis) und damit weit über dem Ziel der Bank von Mexiko (Banxico) von 3 Prozent. Die nächste Regierung muss eine wirksame Steuer- und vor allem Geldpolitik betreiben, um dieses Phänomen in den Griff zu bekommen, und sie einstellen, dass negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen vermieden werden. Neben der Inflation wird die Herausforderung darin bestehen, das Wachstum zu fördern, dessen Abschwächung sich von der Banxico selbst zum dritten Mal in Folge vorgenommenen Abwärtskorrektur auf 1,5 Prozent gegenüber einer Schätzung von 2,4 Prozent zu Beginn des Jahres 2024 widerspiegelt. Ein erster Schritt für die neue Regierung wird die Aufstellung des Haushalts für das Jahr 2025 sein, mit der Priorität einer Senkung des Haushaltsdefizits, das 2024 5,8 Prozent des BIP erreichen wird, verglichen mit 2 Prozent im Jahr 2018. Hier wurde von der neuen Präsidentin schon ein klares Signal gegeben, die Verschuldung des Landes auf 3-3,5 Prozent zurückführen zu wollen und auf eine Phase der Stärkung der fiskalischen Disziplin und des Haushaltsgleichgewichts einzu- schwenken. 2. Wachstumsimpulse setzen Die nächste Herausforderung wird darin bestehen, die Wirtschaft wieder zum Wachsen zu bringen. Unter der Regierung des scheidenden Präsidenten lag das jährliche BIP-Wachstum im Durchschnitt bei nur 1,1 Prozent. Das mexikanische Pro-Kopf-Einkommen wird im Jahr 2024 genauso hoch sein wie vor sechs Jahren. Der Hauptgrund für das langsame Wachstum Mexikos liegt auf der Hand: Die Produktivität des Landes stagniert. Der Grund dafür sind tiefgreifende Mängel in der Gestaltung und Funktionsweise der wichtigsten Institutionen. Insbesondere subventioniert das mexikanische Sozialschutzsystem informelle Aktivitäten und besteuert formelle Aktivitäten; das Steuersystem subventioniert unproduktive Kleinunternehmen und behindert das Wachstum produktiver Unternehmen; und aufgrund von Mängeln im rechtlichen Umfeld zur Durchsetzung von Geschäfts- und Kreditverträgen haben die meisten Unternehmen keinen Zugang zu Krediten. Claudia Sheinbaum will umfangreiche Investitionen in die Infrastruktur in verschiedenen Regionen des Landes auflegen. Das soll unmittelbar zum Regierungswechsel mit massiven Programmen des Wohnungsbaus einsetzen. Dazu will sie durch ein umfangreiches Investitionsprogramm für die Infrastruktur, durch Wiederaufbau und die Instandhaltung von Straßen, Eisenbahnstrecken, Häfen und Zoll sowie 12 Industrieparks im Südosten des Landes und weitere 10 Entwicklungspole im Kontext des transisthmischen Korridors Impulse setzen. Allerdings ist weiterhin unklar, woher die dafür notwendigen Finanzmittel kommen sollen, zumal in der Vergangenheit der Zugriff der Zentralregierung auf die Quellen autonomer Einrichtungen bereits unter AMLO in sehr bedenklicher Weise ausgeweitet wurden. Dazu soll vor allem auch die Reaktivierung der privaten Investitionen beitragen: Während der Regierung von López Obrador sind die privaten Investitionen in den Schlüsselsektoren der Wirtschaft deutlich zurückgegangen. Laut Daten des nationalen Statistikinstituts INEGI stiegen die produktiven Investitionen im Juni 2024 nur um 0,7 Prozent im Jahresvergleich, was den niedrigsten Wert seit 39 Monaten (also seit März 2021) darstellt und eine achtmonatige Abschwächung bedeutet. Angesichts des hohen Realzinses, der Abwertung der Landeswährung und Potenziale wecken, Chancen nutzen – Aufgaben für Mexikos erste Frau im Präsidentenamt 16 Stiftung Wissenschaft und Politik

der politischen Unsicherheit im Land und in den USA dürften die Investitionen in der näheren Zukunft allerdings eher stagnieren. Für Sheinbaum muss es darum gehen, gegen diesen Trend die Wiederbelebung des Vertrauens des Privatsektors voranzubringen, um das Wachstum anzukurbeln und die Infrastruktur des Landes zu modernisieren. 3. Sicherung der internationalen Handelsposition Mexikos Da im Juli 2026 die drei Länder des NAFTA-Nachfolgeabkommens USMCA-Freihandelsabkommens erklären müssen, ob sie aus dem Abkommen aussteigen wollen oder sich um eine Verlängerung bemühen werden, steht erneut die Verteidigung der privilegierten Position des Landes im Zugang zum nordamerikanischen Markt auf der Tagesordnung, auf den 80 Prozent der mexikanischen Exporte entfallen. Die USA haben ihrerseits ein sehr klares Verfahren mit öffentlichen Anhörungen und Berichten im Kongress festgelegt, das bereits im Jahr 2025 beginnen wird, während Mexiko hierzu bislang keine Festlegungen getroffen hat. Dieser Überprüfungs- und Bewertungsmechanismus ist jedoch zentral, wenn mit Kanada gemeinsame Positionen vereinbart werden sollen, um die Verhandlungsposition der mexikanischen Regierung zu stärken. Dieser Prozess ist für Mexiko nicht nur zur Absicherung seiner handelspolitischen Interessen bedeutsam, sondern auch vor dem Hintergrund der Gewinnung neuer Investitionen im Lande zentral. Das Fenster für die Verlagerung von Inves- titionen nach Mexiko (Re-Lokalisierung im Zeichen von »near- und friendshoring«) wird sich in den kommenden Jahren schließen, und das Land könnte wertvolle Chancen verpassen, wenn es der neuen Präsidentin nicht gelingt, die notwendigen Entscheidungen in den Bereichen Sicherheit, Rechtssicherheit, Infrastruktur, Zugang zu erneuerbaren Energien, Energiewende und Ausbildung der Arbeitskräfte zu treffen, um mögliche Investoren an Mexiko zu binden. Bisher scheint die neue Regierung die Vorteile des »near- und friend- shoring« nur eingeschränkt im Blick zu haben, obwohl die Verlagerung von Lieferketten von China in Länder, die den USA geografisch näher liegen, für Mexiko eine große Chance darstellen würde. Bislang hat Präsidentin Sheinbaum dies nur unter dem Gesichtspunkt der Substitution von Importen aufgegriffen, was eine sehr einseitige Sichtweise darstellt. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums erwartet das Land im Jahr 2024 ausländische Direkt- investitionen in Höhe von mehr als 38 Mrd. USD, eine Zahl, die im Folgejahr nochmals steigen könnte, insbesondere wenn sich die Investitionsbedingungen verbessern. Dabei sind die mangelnde Infrastruktur, die Krise der Wasserversorgung und die unzureichende Energieproduktion zentrale Hindernisse. Hinzu kommen Handelsstreitigkeiten im Rahmen des USMCA-Abkommens über Energie und landwirtschaftliche Produkte, die zu einer gewissen Unsicherheit bei diesen Aussichten beitragen. 4. Die politische Zwickmühle: Energie und Klima Mexikos Energiebedarf wird nur schwer zu decken sein. In Mexiko gibt es weitreichende Optionen für erneuerbare Energien, und die gute Nachricht ist, dass Sheinbaum sich für deren Ausbau einsetzt. Die schlechte Nachricht ist, dass sie sich auch verpflichtet hat, die Politik ihres Vorgängers fortzusetzen und mindestens 54 Prozent der Stromerzeugung unter staatlicher Kontrolle zu halten. Es wird sehr schwierig sein, dieser Verpflichtung nachzukommen, wenn die staatliche Elektrizitätsgesellschaft CFE ihre Erzeugungskapazität nicht rasch erhöht und gleichzeitig aus Kohle und Heizöl aussteigt. Die Energiewende ist die weitaus größte Herausforderung für die neue Regierung. Mexiko ist derzeit stark von fossilen Brennstoffen abhängig, und die staatliche Unterstützung für Pemex und CFE unter AMLO hat die Entwicklung erneuerbarer Energien verzögert. Im Jahr 2023 machte die installierte Kapazität an erneuerbaren Energien nur 28 Prozent der Gesamtkapazität aus, weit weniger als in Ländern wie Chile und Brasilien, wo diese bereits über 40 Prozent erreichen. Die umstrittene Justizreform, die Mitte September verabschiedet wurde, hat dazu beigetragen, dass mehrere Projekte aufgeschoben oder gestrichen wurden. Hier Investoren davon zu überzeugen, auf Mexiko zu setzen, ist angesichts des bisherigen Beharrens auf Energiesouveränität durch fossile Brennstoffe eine schwierige Kehrtwende, die der Präsidentin viel politisches Fingerspitzengefühl abverlangen wird. Die staatliche Öl- und Gasgesellschaft Pemex ist jedoch das am höchsten verschuldete Energieunternehmen der Welt und nicht in der Lage, das Angebot schnell zu erhöhen. Die von ihr betonte Beschleunigung der Energiewende hin zu erneuerbaren Energien, verbunden mit der Aufforderung an alle Sektoren, sich an den Bemühungen zur Dekarbonisierung zu beteiligen und die Förderung eines neuen Energiesektors in Mexiko voranzutreiben, stellt hohe Anforderungen an Politik und Wirtschaft. Indes werden diese Maßnahmen nicht ausreichend sein, selbst wenn alles gut geht, um Mexikos strukturelle Pro- bleme zu lösen und das nur mittelmäßige Wachstum des Landes voranzubringen. Themen wie die expansive Rolle des organisierten Verbrechens, die wachsende Rolle des Militärs im Inneren sowie starke ideologische Positionen in der Regierungspartei Morena muss „la doctora“ pragmatisch angehen, wobei ihr eher technokratischer Zugang zu den Problemen eine wichtige Richtschnur sein sollte und weniger ein „Durchregieren“ mit ihren komfortablen politischen Mehrheiten im Kongress und Senat, um Mexikos Potenziale frei zu setzen und die ambitionierten Pläne Realität werden zu lassen. Prof. Dr. Günther Maihold Non-Resident Senior Fellow Stiftung Wissenschaft und Politik 17

Zu Beginn ihrer ersten Amtsperiode als Präsidentin der EUKommission hatte Ursula von der Leyen ihre Kommission als geopolitische Kommission bezeichnet. In den politischen Leitlinien für ihre zweite Präsidentschaft vom 18. Juli 2024 heißt es: „In der heutigen Welt gehen Geopolitik und Geoökonomie Hand in Hand. Dies muss auch für die europäische Außen- und Wirtschaftspolitik gelten. Europas Handelsmacht und wirtschaftliche Offenheit sind für unseren Wohlstand entscheidend.“ Daraus lässt sich die Frage ableiten, welche geopolitischen und geoökonomischen Ziele die EU in Lateinamerika verfolgt und wie erfolgreich die EU bei deren Umsetzung ist. Die EU will ihre strategische Autonomie stärken und einseitige Abhängigkeiten im Handel vermeiden. Dabei spielt auch Lateinamerika eine Rolle, eine Region, wo europäische Unternehmen schon lange etabliert sind, und umfangreiche Handelsbeziehungen bestehen. Bei den geoökonomischen Zielen geht es folglich darum, europäische Investitionen in und Exporte nach Lateinamerika zu sichern und für die europäische Wirtschaft wichtige Importe (insbesondere strategische Rohstoffe) zu gewährleisten. Zu den geoökonomischen Interessen der EU gehört auch die Verbreitung von europäischen Normen und Standards für die Wirtschaft. Handelsabkommen haben daher eine doppelte Funktion: die Verbreitung von Normen und Standards (Umwelt-, Gesundheits- und Lebensmittelstandards) und die Verbesserung der Handels- (und Investitions-) Bedingungen für europäische Unternehmen. Seit dem europäischen Green Deal ist auch der Klimaschutz Teil der Handelspolitik. Gleichzeitig muss sich die EU im Kontext des relativen Machtzuwachses und Einflusses des Globalen Südens, einschließlich traditioneller lateinamerikanischer Partner (wie Brasilien oder Mexiko), neu positionieren. Zu diesem Zweck müssen Anreize (z.B. über Handelsabkommen oder dem Global Gateway) für eine engere wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit mit lateinamerikanischen Ländern geschaffen werden. Um ihre geopolitischen Ziele zu erreichen, braucht die EU gleichgesinnte Partner, idealerweise demokratische Regierungen. In diesem Sinne ist auch die Förderung von Demokratie und Menschenrechten Teil der geopolitischen Strategie der EU. Das Gleiche gilt für die Präsentation der EU als Modell für regionale Zusammenarbeit, die als Projektion europäischer Soft Power angesehen werden kann. In Lateinamerika durchgeführte Meinungsumfragen zeigen, dass der europäische Integrationsprozess und die Beziehungen zur EU überwiegend positiv bewertet und engere Beziehungen mit Europa befürwortet werden. Der politische Dialog mit Lateinamerika wurde 2023 ausgeweitet, obwohl nach Ende der spanischen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2023 das Interesse an Lateinamerika wieder zurückgegangen ist. Immerhin wurde im Juli 2023, nach mehrjähriger Unterbrechung, mit dem EU-CELAC-Gipfel das wichtigste multilaterale Forum zwischen Lateinamerika und der EU wiederbelebt, mit bisher eher bescheidenen Ergebnissen. Die Bilanz der Beziehungen zwischen Europa und Lateinamerika fällt am Beginn der zweiten Kommissionspräsidentschaft von Ursula von der Leyen insgesamt gemischt aus. Nicht alle Chancen konnten genutzt werden. Dies ist aber nicht allein auf die Kommission zurückzuführen, sondern häufig waren es einzelne Mitgliedsländer, die europäische Initiativen blockierten. Insgesamt haben die EU und europäische Unternehmen aber ihre Position als Handelspartner und Investor in Lateinamerika verteidigt. Bei den Handelsabkommen gab es allerdings nur begrenzte Fortschritte. Als die erste EU-Kommission unter Ursula von der Leyen 2019 ihr Amt antrat, waren die Grundlagen für ein Abkommen mit Mercosur, über das fast 20 Jahre verhandelt worden war, und die Modernisierung der Abkommen mit Chile und Mexiko bereits ausgehandelt worden. Diese Abkommen konnten von der neuen Kommission als Ausgangspunkt für die Vertiefung der Beziehungen zu Lateinamerika genutzt werden. Allerdings hatten sich die Mehrheitsverhältnisse im Europäischen Parlament 2019 geändert. Das Europäische Parlament war „grüner“ geworden, und Umweltthemen erhielten in vielen Parteien mehr Aufmerksamkeit. Und es galt, die neue Umweltagenda des europäischen Green Deal in die Außen- und Handelspolitik einzubringen. Das EU-Mercosur- Abkommen wurde zum Testfall für die EU-Klimadiplomatie, die Umsetzung der handelspolitischen Dimension des Green Deal und für das Engagement der EU für eine nachhaltige Entwicklung; zumal einige europäische Regierungen versuchten, die Neuausrichtung der Umwelt- und Klimapolitik für ihre protektionistischen Ziele zu nutzen. Letztlich konnten im Dezember 2023 nur das fortgeschrittene Rahmenabkommen mit Chile unterzeichnet Die EU will ihre strategische Autonomie stärken und einseitige Abhängigkeiten im Handel vermeiden. Geopolitische und geoökonomische Interessen Europas in Lateinamerika: Anspruch und Wirklichkeit 18 Giga - Institut für Lateinamerika-Studien

werden, dem im Februar 2024 auch das europäische Parlament zustimmte, und das jetzt noch von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden muss. Bereits in Kraft getreten ist ein Interim-Handelsabkommen mit Chile, dass in der alleinigen Zuständigkeit der EU-Kommission liegt. Aus Sicht der EU waren die Verhandlungen mit Chile sowohl aus geopolitischer als auch aus umweltpolitischer Sicht ein Erfolg. Bei den Verhandlungen über Umweltstandards gab es keine größeren Probleme, da Chile weltweit eines der Länder mit den meisten Umweltbestimmungen in seinen Handelsabkommen ist. Das Abkommen mit Chile stärkt die strategische Autonomie der EU, da Chile ein wichtiger und verlässlicher Partner in Bezug auf strategische Rohstoffe und den ökologischen Umbau der EU ist. Bereits im Juli 2023 hatten die EU und Chile ein Memorandum of Understanding unterzeichnet, das eine Partnerschaft zwischen der EU und Chile im Bereich nachhaltiger Rohstoffwertschöpfungsketten begründet. Die EU hofft damit, unter anderem ihren Zugang zu Lithium zu sichern. 80% der europäischen Lithiumeinfuhren stammen bereits aus Chile. Die Modernisierung des Abkommens zwischen der EU und Mexiko wurde bis nach den Wahlen zum Europäischen Parlament (und den mexikanischen Präsidentschaftswahlen) und der Konstituierung der neuen EUKommission verschoben, und dürften in den nächsten Monaten wieder auf die politische Agenda der Kommission zurückkehren. Daneben wird sich die neue Kommission weiterhin mit dem EU-Mercosur-Abkommen befassen müssen, dessen Verhandlungsverlauf einer Achterbahn gleicht. Mehrfach sollte es seit 2019 jeweils bis Jahresende unterzeichnet werden, um dann doch wieder weiterverhandelt zu werden. Auf lateinamerikanischer Seite stößt vor allem die weitgehende Liberalisierung des öffentlichen Auftragswesens und die Einführung zusätzlicher Umweltstandards (etwa durch die EU-Entwaldungsverordnung) auf Vorbehalte, die es aber weiterhin auch auf europäischer Seite gibt. Im März 2024 hatte der französische Präsident Macron bei einem Staatsbesuch in Brasilien den Vertragsentwurf als ein sehr schlechtes Abkommen bezeichnet, und Neuverhandlungen gefordert. Die weitere Schwächung des französischen Präsidenten nach den vorgezogenen Parlamentswahlen und die Stärkung der Ablehnungsfront im französischen Parlament sowie der Zuwachs an Mandaten rechtpopulistischer Parteien bei den Europawahlen schienen auf ein Ende der Diskussionen über das EU-Mercosur-Abkommen und seine stille Beerdigung hinzudeuten. Doch seit Anfang September 2024 wird plötzlich wieder zwischen der EU-Kommission und den Mercosur-Staaten weiterverhandelt, mit positiven Signalen auf beiden Seiten im Hinblick auf einen erfolgreichen Abschluss bis zum G-20 Gipfel im November oder bis Jahresende. Zuvor hatten 11 europäische Regierungen, darunter die deutsche, auf einen Vertragsabschluss gedrängt. Allerdings gibt es bisher keinerlei Anzeichen dafür, dass die französische Regierung von ihrer ablehnenden Haltung abrücken könnte. Es ist zu befürchten, dass die Hängepartie weitergeht und der große geopolitische Diskurs der EU weiter von einem ökologisch verbrämten Agrarprotektio- nismus überlagert wird. Wie haben sich vor dem Hintergrund der stockenden Verhandlungen zu den genannten Handelsabkommen die Handelsbeziehungen zwischen der EU und Lateinamerika seit dem Amtsantritt der ersten Kommission unter von der Leyen 2019 entwickelt? Nach Zahlen von EUROSTAT Aus Sicht der EU waren die Verhandlungen mit Chile sowohl aus geopolitischer als auch aus umweltpolitischer Sicht ein Erfolg. German Institute for Global and Area Studies - GIGA, in Hamburg 19

Prof. Dr. Detlef Nolte Associated Fellow, German Institute for Global and Area Studies (GIGA) Ehemaliger Direktor des GIGA Institut für Lateinamerika-Studien detlef.nolte@giga-hamburg.de hat sich das Handelsvolumen (Waren) zwischen der EU und Lateinamerika im Zeitraum 2019 bis 2023 trotz eines Einbruchs in den Corona-Jahren von 202.369 Mio. Euro (Importe 89.580 Mio.; Exporte 112.789 Mio.) auf 273.602 Mio. Euro (Importe 120.570 Mio.; Exporte 153.032 Mio.) erhöht mit einem Handelsbilanzüberschuss zugunsten der EU von 32.461 Mio. Euro (2019: 23.208 Mio. Euro). Bei den Einfuhren war 2023 im Vergleich zu 2022 ein leichter Rückgang zu verzeichnen. Der Anteil Lateinamerikas an den Einfuhren von außerhalb der EU stieg leicht von 4,6% (2019) auf 4,8% (2023), bei den EU-Ausfuhren sogar von 5,3% auf 6,0%. Umgekehrt lag der Anteil der EU an den lateinamerikanischen Ausfuhren im Jahr 2023 bei 9,8% und an den Einfuhren bei 14,7%. Trotz der Probleme mit den Handelsabkommen haben sich vor allem die europäischen Exporte seit 2019 positiv entwickelt. Dies gilt auch für den Mercosur. Obwohl das Abkommen zwischen der EU und dem Mercosur noch nicht unterzeichnet wurde, nahm der Handel (Wert) zwischen 2019 und 2023 deutlich zu, und zwar um 48% bei den Einfuhren der EU aus dem Mercosur und um 35% bei den Ausfuhren, mit einem Handelsbilanzüberschuss zugunsten der EU (außer im Jahr 2022). Infolgedessen stieg der Anteil des Mercosur an den außerregionalen Ein- und Ausfuhren der EU von 1,9% im Jahr 2019 auf 2,1% bzw. 2,2% im Jahr 2023. Die EU verteidigte ihre Position als zweitwichtigster Handelspartner des Mercosur hinter China und hat ihren Anteil bei den Mercosur-Einfuhren im Vergleich mit 2019 sogar leicht erhöhen können (Mercosur-Einfuhren 2023/2019: China 25,6%/23,2%, EU 20,0%/19,1%, USA 16,8%/17,9%; Mercosur-Ausfuhren: China 29,3%/26,4%; EU 14,4%/15,4%, USA 11,6%/12,7%; Daten von EUROSTAT). Mit Blick auf Lateinamerika hat China zwar Europa als zweitwichtigsten Handelspartner schon lange verdrängt, aber europäische Unternehmen haben als Investoren in Lateinamerika und der Karibik immer noch die Oberhand. Nach Daten der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (ECLAC) waren Unternehmen aus der EU im Jahr 2023 mit einem Anteil von 22% (2020 24%) an den ausländischen Direktinvestitionszuflüssen der zweitwichtigste Investor in Lateinamerika nach US-Unternehmen (mit einem Anteil von 33%). Chinesische Investitionen machten gerade 0,4% aus. Direktinvestitionen aus Luxemburg oder den Niederlanden (die von multinationalen Unternehmen aufgrund ihrer Steuersysteme häufig für Investitionen in Drittländern gewählt werden) hatten einen Anteil von 8% (2020: 10%). Im Jahr 2023 waren europäische Unternehmen führend bei den Herkunftsländern multinationaler Unternehmen, die Vermögenswerte in Lateinamerika erwarben (gefolgt von US-amerikanischen Unternehmen), und zwar mit einem deutlich höheren Anteil als im Zeitraum 20172022. Zehn europäische Unternehmen (darunter eines aus der Schweiz und zwei aus dem Vereinigten Königreich) waren an den 20 größten grenzüberschreitenden Fusionen und Übernahmen in Lateinamerika im Jahr 2023 beteiligt (US-Unternehmen an 5; keines aus China). Bei den 2023 angekündigten Investitionen lagen Unternehmen aus den USA an erster und Unternehmen aus China an dritter Stelle. Summiert man aber die Investitionsvorhaben aus europäischen Ländern (sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU) so waren diese dreimal so hoch wie die von USUnternehmen angekündigten Investitionen und lagen deutlich vor denen chinesischer Unternehmen. Fazit: Aus Sicht der EU hat die geopolitische und geoökonomische Bedeutung Lateinamerikas leicht zugenommen. Sicherheitspolitisch spielt Lateinamerika für Europa demgegenüber nur eine begrenzte Rolle (beschränkt auf strategische Rohstoffe und den internationalen Rauschgifthandel). Die EU hat ihre Position in Lateinamerika gefestigt und hat Fortschritte hinsichtlich ihrer geopolitischen und geoökonomischen Ziele gemacht. Der EU ist es gelungen, wichtige umwelt- und klimapolitische Ziele in den Handelsabkommen (oder deren Modernisierung) mit dem Mercosur, Chile und Mexiko zu verankern. Der Handel mit Lateinamerika hat seit Beginn der Kommissionspräsidentschaft von der Leyens zugenommen, trotz eines Einbruchs während der Pandemie. Europa konnte seinen Anteil am Außenhandel Lateinamerikas halten, und der Anteil Lateinamerikas am Außenhandel der EU ist sogar leicht gestiegen. Selbst das Nichtzustandekommen des EUMercosur-Abkommens hat sich nicht negativ auf die Handelsbeziehungen mit der EU ausgewirkt. Europäische Unternehmen sind zusammen mit US-amerikanischen weiterhin die wichtigsten Investoren in Lateinamerika. Der Zugang zum EU-Markt wird als Anreiz für Handelsabkommen mit Drittländern genutzt. Dadurch kann die EU auch ihre Standards und Vorschriften exportieren, wie etwa beim Klimaschutz. Dies setzt allerdings voraus, dass Europa als Handelspartner attraktiv bleibt. Verliert Europa an Anziehungskraft oder werden alternative Märkte interessanter, dann verliert dieses Instrument zur Durchsetzung der geopolitischen und geoökonomischen Interessen Europas seine Wirksamkeit. Dies sollte mit Blick auf das ausstehende EU-MercosurAbkommen nicht vergessen werden. 20 Giga - Institut für Lateinamerika-Studien

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Die neue Leiterin der Agentur für Wirtschaft und Entwicklung Susanne Friedrich will mit der AWE noch besser hinschauen und noch genauer zuhören, was die Länder im Globalen Süden wirklich brauchen. Sie hat vier Jahre in Peru gelebt und fühlt sich Lateinamerika sehr verbunden. „Es ist wichtig, dass wir Flagge zeigen.“ Interview mit Susanne Friedrich, Leiterin der Agentur für Wirtschaft und Entwicklung Frau Friedrich, seit Juli 2024 sind Sie die neue Leiterin der Agentur für Wirtschaft und Entwicklung. Welche Rolle spielt die AWE für die Zusammenarbeit von Entwicklungspolitik und Wirtschaft in Deutschland? Die AWE schlägt die Brücke zwischen den Ländern im Globalen Süden und der deutschen Wirtschaft mit ihrem Know-how und ihrer Innovationskraft. Diese Länder unternehmen große Anstrengungen, um ihre Wirtschaften zukunftsfähig aufzustellen. Deutsches Unternehmensengagement kann sicherstellen, dass zum Beispiel die dringend benötigte Infrastruktur umwelt- und sozialverträglich und nachhaltig gebaut wird. Hier gibt es ein enormes Kooperationspotential. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit wirkt mit ihrer Präsenz vor Ort und mit ihrem Know-how im Globalen Süden als Vermittlerin. Sie baut Netzwerke auf und bringt beide Seiten zusammen. Als AWE besteht unsere Aufgabe darin, beiden Seiten Orientierung zu geben und die deutsche Wirtschaft zu den Instrumenten zu beraten, mit denen die Bundesregierung das Engagement von Unternehmen in der Entwicklungszusammenarbeit fördert. Welche Herausforderungen sehen Sie in den nächsten Jahren auf die AWE zukommen und wie planen Sie, diese zu meistern? Ich denke, eine große Herausforderung wird es sein, die wirtschaftlichen und technologischen Chancen, die der globale Süden im Rahmen der Transformation bietet, mit den Technologien und den Interessen der Unternehmen in Deutschland zu matchen, etwa im Energie-, Rohstoff- oder Technologiebereich. Um das möglichst passgenau hinzubekommen, müssen wir tatsächlich noch besser hinhören: Was braucht der Globale Süden und was will er? Gleichzeitig müssen wir die Risiken, die deutsche Unternehmen eingehen, wenn sie sich im Globalen Süden engagieren, gut im Blick haben und Orientierung zu den Rahmenbedingungen geben. Können Sie ein Beispiel nennen? Ein Beispiel ist der Aufbau von industriellen Wertschöpfungsketten, wie dies die Unternehmensallianz grüner Wasserstoff tut. Sie trägt wirksam zur Diversifizierung der deutschen Energieimporte bei und erzielt einen dreifach positiven Effekt: Während grüner Wasserstoff zur Dekarbonisierung der globalen industriellen Wertschöpfungskette beiträgt, wird gleichzeitig der Aufbau von industriellen Produktionsanlagen gefördert und gibt einen Impuls für die lokale Wirtschaftsleistung. Das heißt, sie schafft Arbeitsplätze vor Ort. Damit tragen der grüne Wasserstoff und auch seine Derivate zur klima- und sozial gerechten Entwicklung des jeweiligen Landes bei. Susanne Friedrich Seit Juli ist Susanne Friedrich die neue Leiterin der Agentur für Wirtschaft und Entwicklung. Susanne Friedrich ist seit 15 Jahren in verschiedenen Projekten der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH tätig, zuletzt als Leiterin des Globalprojekts Qualitätsinfrastruktur, zuvor als Leiterin der Allianz für Integrität. Ihre berufliche Laufbahn begann Susanne Friedrich bei der chilenischen Agentur für Exportförderung ProChile. Später arbeitete sie als Beraterin für öffentlich-private Partnerschaften in der Entwicklungszusammenarbeit. 22 Agentur für Wirtschaft und Entwicklung – AWE

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