LAV Magazin 2023

Mit seinem Rohstoff- und Agrarreichtum und hervorragenden Bedingungen für die Produktion grüner Energie profitiert Lateinamerika gleich von mehreren Megatrends. Nach langen Jahren Funkstille ist Europa aufgewacht und buhlt um neue Partner in der Region. Doch die neueNummer eins heißt vielerorts China. Anfang 2023, nach dem Amtsantritt von Brasiliens neuem (alten) Präsidenten, Luiz Inácio Lula da Silva, war die Euphorie in Deutschland und Europa groß: Nach der Ablösung von Ex-Staatschef Jair Bolsonaro und Signalen Lulas in Bezug auf eine neue Umweltpolitik schien der Weg frei für die Ratifizierung des seit 2019 ausverhandelten Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union (EU) und den Staaten des Mercosur. Inzwischen ist Ernüchterung eingekehrt. Stein des Anstoßes ist eine von der EU gewünschte Zusatzerklärung zu Klima, Umwelt und Menschenrechten, die Strafmaßnahmen bei entsprechenden Verstößen vorsieht. Die Länder desMercosur, allen voran Brasilien, sehen dies als Bevormundung und eine Art "grünen Neokolonialismus". EinGegenvorschlag der Südamerikaner soll auf den Tisch. Nur wenn alles optimal läuft, könnte es bis Ende 2023 noch zu einemAbschluss kommen. Europa braucht Lateinamerika heutemehr denn je... Dabei drängt die Zeit, zu einer Unterschrift zu kommen. Das gilt besonders für Europa. Denn der alte Kontinent braucht Lateinamerika mehr denn je - sei es als Lieferant von Rohstoffen und grüner Energie für den Umbau der Wirtschaft, als Handelspartner und Verbündeter in einer Welt mit zunehmenden geopolitischen Spannungen. Diversifizierung, Dekarbonisierung und DeRisking sind die Schlagworte. Und gerade hier kann Lateinamerika punkten: Die weltgrößten Vorkommen an Lithium, Kupfer und weiteren wichtigen Vorkommen finden sich in der Region. Und die Nachfrage nach diesen Produkten steigt. Für den Bau von Windrädern, Elektroautos und neuen Stromleitungen bedarf es Unmengen der Rohstoffe. Punkten kann der Subkontinent auch mit hervorragenden Bedingungen für erneuerbare Energien und der kostengünstigen Produktion von grünemWasserstoff. Während ein Windrad in Patagonien an rund 270 Tagen im Jahr mit Volllast betrieben werden kann, sind es in Deutschland nur etwa 70 Tage. Ein weiterer Trumpf der Region ist ihr Agrarreichtum. Länder wie Brasilien und Argentinien spielen eine wichtige Rolle bei der Ernährung der wachsendenWeltbevölkerung. Gleichzeitig bestehen aber Schwachpunkte fort: Die - mit Ausnahme weniger Länder - weit verbreitete Korruption, Kriminalität und große Bürokratie schrecken Investoren ab. Zu geringe Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Forschung hemmen das Wachstumspotenzial. ... während sich Lateinamerika neueOptionen bieten Doch spielen Lateinamerika mehrere globale Trends in die Hände, während die relative wirtschaftliche Kraft und der Einfluss Europas in der Welt sinken. "Die MercosurStaaten sind inzwischen viel weniger auf die EU angewiesen als früher, da mit China ein alternativer Handelspartner herangewachsen ist", schreibt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer Anfang August 2023 veröffentlichten Studie. Europa könne es sich nicht leisten, den Zugang zu den Rohstoffen und Agrarprodukten der Mercosur-Staaten zu verlieren. Die EU müsse Kompromissbereitschaft zeigen. Fakt ist: Mit demAbkommen entstünde die mit über 770 Millionen Einwohnern größte Freihandelszone weltweit. Und für die schwächelnde Industrie in Europa wäre das Abkommen ein positiver Impuls, zumal die Märkte der Mercosur-Staaten immer noch relativ abgeschottet sind. Umbis zu 0,3 Prozent könnte sich das Bruttoinlandsprodukt der EU-Staaten durch den schrittweisen Abbau von Zöllen und Handelsbarrieren erhöhen, hat eine Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales berechnet. Es gibt jedoch nach wie vor Bedenken gegen das Abkommen, allen voran von Seiten europäischer Landwirte und Umweltschützer. Allerdings würde ein weiteres Zögern kaum helfen. "Wenn das Abkommen nicht unterzeichnet wird, würden die MercosurMitgliedstaaten ihre Handelsbeziehungen weiterhin mit Ländern wie China intensivieren, die in Bezug auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit weitaus weniger ambitioniert sind", sagte Lissandra Flach, Leiterin des ifo Zentrums für Außenwirtschaft, gegenüber demHandelsblatt. China ist auf der Überholspur Schon heute prescht China in Lateinamerika mit rasantem Tempo voran. Zwar liegen die USA im Handel mit der Region immer noch auf Platz eins. Doch das liegt zu einem großen Teil an einem Land: Mexiko, der Werkbank der USA im Handelsbündnis USMCA (USA, Mexiko, Kanada). Doch für die meisten Länder Lateinamerikas ist die Volksrepublik inzwischen der wichtigste Handelspartner. Das gilt auch für die Staaten des Mercosur. War die Bedeutung Chinas als Wirtschaftspartner im Jahr 2000 noch marginal, so hat das Land heute die einst führenden Europäer und die USA weit hinter sich gelassen. Und eine Trendwende ist nicht in Sicht. Chinesische Produkte wie Autos, Elektronik und Bekleidung dringen immer weiter vor und erfreuen sich einer wachsenden Beliebtheit. Gleichzeitig nimmt China einen Großteil der Agrarprodukte sowie der Rohstoffe ab – auch um diese für den Weltmarkt zu veredeln. Dabei sind die wichtigsten Güter im Außenhandel zwischen den MercosurStaaten einerseits sowie der EU und China andererseits ähnlich, wie die Studie des IW zeigt. Bei den Exporten des Mercosur dominieren Rohstoffe und Agrargüter, bei den ImportenMaschinen und andere Fertigwaren. Da der Mercosur noch über kein größeres Handelsabkommen verfüge und die Märkte vergleichsweise stark abgeschottet seien, könne die EU von der Handelsliberalisierung von einer Art "first-mover advantage" profitieren, so die Studie. Europa sollte Chancen in Lateinamerika nutzen 22 Germany Trade and Invest – GTAI

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