LAV Magazin 2023

Mitte Juli 2023 trafen sich die Regierungschefs aus Latein- amerika und Europa in Brüssel zum III. EU-CELAC-Gipfel. Es kann zunächst einmal als Erfolg gewertet werden, dass die lateinamerikanischen und europäischen Regierungen nach einer achtjährigen Pause, die eher der lateinamerikanischen Uneinigkeit als dem Desinteresse der EU geschuldet war, wieder einen Dialog auf höchster Ebene aufgenommen haben. Lateinamerika war über viele Jahre zwischen rechten und linken Regierungen polarisiert, die Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten (Comunidad de Estados Latinamericanos y del Caribe CELAC) war bis 2020 weitgehend gelähmt, und die brasilianische Regierung nimmt erst seit dem Regierungswechsel 2023 wieder an den CELAC-Gipfeltreffen teil. Was waren die wichtigsten Ergebnisse des Gipfels, und was sagt der Gipfel über die Beziehungen zwischen beiden Regionen aus? Der Gipfel sollte ein Zeichen der Erneuerung und Vertiefung der Beziehungen zwischen beiden Regionen setzen. Inwieweit dies der Fall ist, wird sich an der Umsetzung der in der Abschlusserklärung genannten Ziele zeigen. So sind noch für 2023 Treffen der Wirtschafts- und Finanzminister der EU und der CELAC (mitorganisiert von der Entwicklungsbank für Lateinamerika (CAF)) und eine Tagung der für innere Sicherheit zuständigen Minister geplant. Auf der Roadmap zum nächsten Gipfel 2025 ist ein interregionaler Dialog zu Fragen der bi-regionalen Konnektivität, zur Digitalisierungspolitik, zur Selbstversorgung und Regulierung im Gesundheitswesens, zu Umweltschutz und Klimawandel, zur Weltraumpolitik und zu Katastrophenvorsorge und Katastrophen- risikomanagement vorgesehen. Die gemeinsame Agenda zwischen Europa und Lateinamerika hat zwar an Umfang, nicht aber an Tiefe zugenommen. Was fehlt ist eine klare strategische Ausrichtung. Die ausführliche 41-Punkte-Abschlusserklärung lässt kaum ein Thema für eine umfassende interregionale Kooperation aus, bleibt aber vage, was die Ausgestaltung der Kooperation betrifft. Erwähnt werden der Klimawandel, eine nachhaltige Entwicklung, die Gleichstellung der Geschlechter, der Schutz und die nachhaltige Nutzung der Ozeane, der Zugang zu sauberem Wasser, ein verantwortungsvoller digitaler Wandel, soziale Gerechtigkeit und der Kampf gegen Korruption und Kriminalität. Es handelt sich, wie häufig bei Abschlusserklärungen, um eine umfassende und anspruchsvolle Liste von möglichen Kooperationsfeldern, es werden aber keine Prioritäten gesetzt. Dies ist jedoch weniger auf mangelnden Willen zurückzuführen als auf die Schwierigkeit, die Interessen und Prioritäten einer großen Zahl von Regierungen mit sehr unterschiedlichen und oft gegensätzlichen politischen Ausrichtungen zusammenzuführen. Darüber hinaus gibt es auf lateinamerikanischer Seite strukturelle Probleme, die es schwierig machen, eine gemeinsame Agenda zu formulieren. Anders als Europa durch die EU werden Lateinamerika und die Karibik nicht durch eine regionale Organisation, sondern durch ein regionales Forum, CELAC, vertreten, das weder über ein ständiges Sekretariat noch über eigenständige bürokratische Strukturen verfügt. Im günstigsten Fall werden auf den jährlichen Präsidentengipfeln gemeinsame Positionen erarbeitet, die für die beteiligten Regierungen aber kaum bindende Wirkung haben. Strukturelle Defizite erschweren es Lateinamerika, einen Konsens und eine gemeinsame Position gegenüber der EU zu finden. Aber es handelt sich nicht nur um ein strukturelles Problem. Ebenso fehlt es in vielen wirtschaftlichen und politischen Fragen an einem Grundkonsens, insbesondere in der internationalen Politik. Trotz der Reaktivierung der CELAC, während der pro tempore Präsidentschaften Mexikos (2020–2021), besteht die politische Spaltung und Uneinigkeit Lateinamerikas fort. Während Europa einen gemeinsamen Standpunkt zur russischen Invasion in der Ukraine vertritt, gibt es in Lateinamerika und der Karibik eine Vielzahl von Positionen, die von einer eindeutigen Verurteilung Russlands über ein Herumeiern angesichts der russischen Aggression bis hin zu einer offen prorussischen Haltung reichen. Dem international zunehmend isolierten nicaraguanischen Regime (Präsident Ortega nahm nicht am Gipfeltreffen teil) gelang es, die Verabschiedung der gemeinsamen Erklärung wegen des Absatzes zum Ukraine-Konflikt lange zu verzögern, um am Ende als einzige Regierung diesen Passus nicht mitzutragen. Und ein gealterter brasilianischer Präsident widersprach der Erklärung seines jungen chilenischen Amtskollegen, der die Invasion des Kremls in der Ukraine als "imperiale Aggression" bezeichnete, und meinte, dem chilenischen Präsidenten Boric wie ein Oberlehrer politische Unerfahrenheit vorwerfen zu müssen, da er zum ersten Mal an einem Gipfeltreffen mit der EU teilnehme. Das Verhalten von Lula und dem nicaraguanischen Regime ist symptomatisch für die Uneinigkeit Lateinamerikas. Die gemeinsame Erklärung ist auch ein Indikator für die Heterogenität Lateinamerikas als Region und für die unterschiedlichen nationalen Prioritäten der Regierungen. Sie enthält viele Themen, die nur für bestimmte Regierungen oder Subregionen von besonderer Bedeutung sind. So wird die Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt Licht und Schatten: Rückblick auf den EU-CELAC-Gipfel 28 Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik – DGAP

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