LAV Magazin 2023

und auf den Zehn-Punkte-Plan der Karibischen Gemeinschaft für eine opfer- orientierte Justiz verwiesen. Darüber hinaus wird die Aufhebung des Embargos gegen Kuba gefordert, die Verschlechterung der öffentlichen Sicherheit und der humanitären Lage in Haiti erwähnt, und dieUnterstützung des Friedensprozesses in Kolumbien bekräftigt. Der Text ermutigt auch dazu, zu einem konstruktiven Dialog bei den Verhandlungen über Venezuela in Mexiko-Stadt zurückzukehren. In der Frage der Souveränität über die Malvinas-Inseln wird in der Abschlusserklärung festgestellt, dass die EU die historische Position der CELAC zur Kenntnis nimmt. Dies wurde von der argentinischen Regierung als Erfolg gewertet. Die Fortschritte im Hinblick auf die Unterzeichnung der Vereinbarungen zur Modernisierung der Abkommen zwischen der EU und Chile, und der EU und Mexiko werden begrüßt, und laufende Verhandlungen zum EU-Mercosur-Abkommen zur Kenntnis genommen. Die Vielfalt der Stimmen auf lateinamerikanischer Seite führt zu einer differenzierten Reaktion auf europäischer Seite. Der EU-CELAC-Gipfel bestätigt eine Tendenz, dass die EU in bestimmten Fragen eher bilateral als multilateral mit politisch gleichgesinnten Partnern zusammenarbeitet. Die gegensätzlichen Interessen zwischen der EU und einigen lateinamerikanischen Regierungen, aber auch innerhalb der CELAC, könnten in Zukunft zu einer noch stärkeren bilateralen Ausrichtung der Beziehungen zwischen der EU und Lateinamerika führen, wie die Unterzeichnung von Memoranden zur Kooperation (im Rahmen des Global Gateway Programms der EU) in den Bereichen digitaler Wandel, erneuerbare Energien, nachhaltige RohstoffWertschöpfungsketten, Energieeffizienz und grüner Wasserstoff mit Chile und Uruguay während des Treffens der Regierungschefs in Brüssel bereits gezeigt hat. Die europäischen Regierungen haben viel guten Willen aufgebracht, und waren in der Gemeinsamen Erklärung bereit, sich den lateinamerikanischen Positionen anzunähern, um die Zusammenarbeit zwischen den beiden Regionen zu erleichtern, indem sie beispielsweise den Grundsatz der gemeinsamen Ziele, aber differenzierte Verantwortung für die Eindämmung der negativen Auswirkungen des Klimawandels und der Umweltzerstörung akzeptierten. Bereits im Vorfeld des Gipfels hatte die EU Lateinamerika in ihre Global Gateway Investitionsagenda aufgenommen, die sich auf die Säulen „gerechter grüner Wandel, inklusiver digitaler Wandel, menschliche Entwicklung sowie krisenfeste Gesundheitssysteme“ stützt. Damit hat die EU auch materielle Anreize (in Höhe von 45 Mrd. bis 2027) für eine engere Zusammenarbeit geschaffen. Die Erklärung zum Ukraine-Konflikt fiel aus europäischer Sicht eher enttäuschend aus und zeigt, dass es keine strategische Partnerschaft zwischen den beiden Regionen in dieser für Europa existenziellen Frage gibt. Auch beim Schutz der Menschenrechte und der Demokratie besteht eine Kluft zwischen Lateinamerika und Europa. Die gemeinsame Gipfelerklärung erwähnt zwar die Verbrechen der Vergangenheit (die Sklaverei), schweigt aber zu den Menschenrechtsverbrechen in der Gegenwart. Angesichts der Situation in vielen lateinamerikanischen Ländern erscheint die Bekräftigung gemeinsamer Werte in Bezug auf "freie und faire, inklusive, transparente und glaubwürdige Wahlen" zynisch, da sie nur sehr bedingt der Realität entspricht. Es war wichtig, dass die Regierungen der EU und der CELAC zu einem Dialog zusammenkamen, um gemeinsame Interessen auszuloten, aber auch, um kontroverse Themen zu diskutieren. Der III. EU-CELAC-Gipfel hat gezeigt, dass die beiden Regionen weit von einer gemeinsamen strategischen Vision in Fragen der internationalen Politik entfernt sind, vielmehr gibt es in bestimmten Bereichen überlappende strategische Interessen. Der innerlateinamerika- nische Konsultationsprozess weist Mängel auf, Lateinamerika ist in vielen Fragen politisch uneins, und neben Gemeinsamkeiten gibt es auch viele Unterschiede zwischen den jeweiligen Visionen einer künftigen Weltordnung. Kurz gesagt, die beiden Regionen müssen die gemeinsamen Interessen weiter ausloten, um das volle Potenzial ihrer historisch begründeten politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Beziehungen ausschöpfen zu können. DiekommendenWochenwerdenzeigen, inwieweit dies gelingt. Die Vereinbarung zur Modernisierung des Abkommens zwischen der EU und Chile ist weit vor- angeschritten, der Text muss nur noch rechtlich überprüft und in die Amtssprachen übersetzt werden, sollte aber noch dieses Jahr von beiden Seiten unterschrieben werden. Auch die Modernisierung des Abkommens mit Mexiko befindet sich in der technischen Phase, bevor es unterschrieben werden kann. Demgegenüber geht die Hängepartie zwischen der EU und dem Mercosur nach fast 25 Jahren Verhandlungen weiter. Hier wartet die EU auf den für Mitte September angekündigten Gegenvorschlag des Mercosur zur besseren Absicherung von Umwelt- und Nachhaltigkeitsstandards bzw. auf Gegenforderungen des Mercosur. Probleme im Hinblick auf eine Unterzeichnung und Ratifizierung (zumindest durch das Europaparlament) zeichnen sich eher auf europäischer als auf Mercosur-Seite ab. Vor allem in Frankreich bestehen weiterhin große Vorbehalte. Mitte nächsten Jahres werden zudem ein neues Europarlament und eine neue Kommission gewählt. Sollte das EUMercosur-Abkommen nicht bis dahin unterschrieben und ratifiziert worden sein (zumindest vom Europarlament), besteht das Risiko, dass es irgendwann obsolet sein wird und Europa weiter an Einfluss in Lateinamerika verliert. Im Mercosur gibt es Akteure (unter anderem die uruguayische Regierung), die auf ein Freihandelsabkommen mit China drängen, und mit Argentinien wurde (neben Brasilien) ein zweites Mitgliedsland des Mercosur in die Gruppe der BRICS-Staaten aufgenommen. Prof. Dr. Detlef Nolte Ehemaliger Direktor des GIGA Instituts für Lateinamerika-Studien in Hamburg, Associate Fellow am Zentrum für Geopolitik, Geoökonomie und Technologie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik - DGAP 29

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