LAV Magazin 2023

Der Titel eines Meinungsbeitrages im Vorfeld des Gipfeltreffens EU-CELAC (17.-18. Juli 2023) in der spanischen Tageszeitung El País lautete: „Warum ist Lateinamerika wichtig?“. Eine Frage, die der Autor auch umgehend beantwortet: „Alles, was es braucht, ist weniger Arroganz, mehr gegenseitiges Verständnis und realistische Verhandlungen“. Doch auch nach dem Gipfel in Brüssel, der die neue Hinwendung Europas zu Lateinamerika nach 8 Jahren ohne biregionales Treffen doku- mentieren sollte, bleiben Zweifel beste- hen, ob die drei geforderten Eigenschaften wirklich so eintreten werden, um einen Neuanfang im beiderseitigen Beziehungsmuster zu ermöglichen. Die Abschlusserklärung des Gipfels greift viele Allgemeinplätze auf, die aus früheren Erklärungen bekannt sind und bereits in dem im Juni von der EUKommission vorgelegten Strategiepapier mit dem Titel „Eine neue Agenda für die Beziehungen zwischen der EU und Lateinamerika und der Karibik (LAK)“ vorgelegt wurden. So werden beide Regionen als „natürliche Partner“ bezeichnet, die aufgrund der „einzigartigen historischen und kulturellen Verbindungen, tiefer wirtschaftlicher und sozialer Bindungen und eines gemeinsamen Engagement für Frieden und Multilateralismus verbunden (sind) und …eine starke Beziehung aufgebaut (haben), die durch ein umfangreiches Netz von Abkommen untermauert wird“. Trotz vielfältiger Erfahrungen mit dem Verlust demokratischer Regie- rungsführung, des Unterlaufens rechtsstaatlicher Verfahren und der Einschränkung der Bürgerrechte wird eine dauerhafte Partnerschaft beschworen, die auf gemeinsamenWerten und gegen- seitigen Interessen beruht. Dass die EU und LAK dann zu „Partnern der Wahl“ erklärt werden, folgt wohl eher geopolitischen Interessen Europas, das sich mit dem Vordringen Chinas in der Region gefordert sieht, die eigene Rolle zu stärken und die Vernachlässigung der Partnerschaftsbeziehung zu überwinden, damit – wie es heißt – beide Regionen „ihre kollektive Stärke …nutzen, gemeinsame Interessen …verteidigen und globale Herausforderungen gemeinsam angehen“. Dafür wird eine erneuerte, modernisierte strategische Partnerschaft vorgeschlagen, die durch ein verstärktes politisches Engagement, die Ankurbelung von Handel und Investitionen und den Aufbau nachhaltigerer, gerechterer und stärker vernetzter Gesellschaften durch Infrastrukturin- vestitionen erreicht werden soll. Von der Divergenz zur Konvergenz zwischen der EU und LAK Auf dem Gipfeltreffen verpflichteten sich die Staats- und Regierungschefs der EU und der CELAC-Staaten- gemeinschaft zur Erneuerung ihrer langjährigen Partnerschaft, auf der Basis einer Zusammenarbeit als souveräne Partner. Dieses Umdenken seitens der EU im Sinne einer neuen Hinwendung zur Region ist die Folge der Einsicht, dass Europa mehr Partner braucht, um seine angestrebte internationale Führungsrolle ausfüllen zu können und gleichzeitig zuverlässige Lieferanten für strategische Rohstoffe zu gewinnen. Hier wird deutlich, dass sich hinter dem Wertediskurs im Sinne der Gestaltung einer auf Multilate- ralismus, demokratischen Werten und nachhaltiger sozialer und ökologischer Entwicklung basierenden Welt klare Interessen verbergen, die auch in Latein- amerika so erkannt werden. Möglicherweise war es gerade die wachsende Entfremdung zwischen den europäischen und lateinamerikanischen Positionen, die zu einer größeren Distanz geführt haben, also Differenzen, hinter denen sich unterschiedliche Interessen und nicht deckungsgleiche Denkweisen und Einordnungen in der Welt verbergen. Insofern ist der Impuls des Gipfeltreffens nur zu begrüßen und dass die Beziehungen nunmehr in flexi- bler Weise das biregionale Element mit bilateralen Formaten kombinieren sollen. Angesichts der inneren Heterogenität der LAK-Region ist ohnedies nicht zu erwarten, dass ein EU-CELAC- Block gebildet werden kann, der auf der internationalen Bühne koordiniert agiert. Zentral wird es daher sein, dass die Beziehungen zu bestimmten regio- nalen Akteuren gestärkt werden, also Staaten, die aufgrund ihres interna- tionalen Potenzials (etwa als Mitglieder der G20: Brasilien, Mexiko und Argentinien), ihrer regionalen Bedeutung (Chile, Uruguay, Peru, Kolumbien) oder ihres Interesses an einer Stärkung der Beziehungen zur EU zentral sind. Damit wird eine neue Phase in den EU-LAK-Beziehungen eingeläutet, die nicht an starren Blöcken festhält, sondern sich daran orientiert, wo konkrete Anknüpfungspunkte und Kooperationspotentiale bestehen. Dieses Modell einer „variablen Geometrie“ in der Gestaltung der beiderseitigen Beziehungen erscheint für die Zukunftvielversprechend.Dazubedarfes allerdings eines festen politischen Willens auf beiden Seiten im Sinne des Engagements für die Kontinuität und Vertiefung der Beziehungen in Richtung auf eine Institutionalisierung der Beziehungen, jenseits des diplomatischen Aufgalopps bei inszenierten Gipfeltreffen. Hier eine eigenständige Dynamik zu entfalten, die auf dem Engagement der Wirtschaft und der Zivil- gesellschaft aufsetzt, ist die zentrale Voraussetzung dafür, dass sich eine stärkere Konvergenz zwischen beiden Regionen einstellt. Ein geeignetes Forum dafür könnte ein gemeinsamer Handels- und Technologierat (Trade and Technology Council – TTC) sein, wie er auch zwischen der EU und den USA eingerichtet wurde. Vom „natürlichen Partner“ zum „Partner der Wahl“ – Lateinamerika gerät wieder in das Blickfeld Europas 34 Stiftung Wissenschaft und Politik

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