LAV Magazin 2023

Global Gateway – die neue Investitionsagenda Wenn die EU und LAK zu „Partnern der Wahl“ werden sollen, dann bedarf es neuer Impulse für die Zusammenarbeit. Diese sollen als positives Partnerschaftsangebot durch die Global Gateway Investment Agenda (GGIA) der EU gesetzt werden, die im Rahmen des Gipfels für Lateinamerika und die Karibik angekündigt wurde. So beabsichtigt die EU-Kommission, bis 2027 über 45 Milliarden Euro in Lateinamerika und die Karibik zu investieren, wobei insbesondere Projekte der Infrastrukturentwicklung im Vordergrund stehen sollen. Damit soll auch ein Gegengewicht zu den Initiativen Chinas in der Region geschaffen werden, wobei die EU für sich in Anspruch nimmt, diese Projekte nach den höchsten Umwelt- und Sozialstandards und mit Transparenz verbunden umzusetzen, um so auch das Gegenbild zu China zu unterstreichen. Die im Rahmen des Gipfels vorgelegte Liste von mehr als 130 Projekten des GGIA vermittelt indes eher den Charakter einer schnell zusammengestellten Wunschliste, ohne tiefere Diskussion der konkreten Verfahren und Bedingungen einer Umsetzung. Deutlich wird aber auch das Interesse Europas an kritischen Rohstoffen (wie Lithium) in der Region (Argentinien, Bolivien, Chile) sowie das Bestreben, lateinamerikanische Staaten in den „Club für kritische Rohstoffe“ einzubinden, den die Kommission nach der Kritikalitätsbewertung strategischer Rohstoffe angestoßen hat, um Versorgungs- sicherheit und nachhaltige Lieferketten zu stärken. So wünschenswert eine Bündelung des EU-Kooperationsangebotes in der GGIA auch ist, so umfassend sind auch die Folgen dieses Ansatzes: Zum einen wird die Frage zu beantworten sein, wie zügig diese Projekte in Gang kommen und umgesetzt werden, zumal die Vorbehalte in LAK gegenüber der europäischen Bürokratie durch negative Vorerfahrungen umfassend ausgebildet sind. Zum anderen ist mit der GGIA de facto eine Neuausrichtung der europäi- schen Entwicklungszusammenarbeit erfolgt, die nun in zentraler Weise auf Infrastrukturmaßnahmen ausgerichtet wird. Bisherige Qualitätsmerkmale der europäischen Kooperation wie die Bedeutung von Governance-Fragen, Beteiligung der Zivilgesellschaft und indigener Gruppen, die oftmals eine kleinteilige Steuerung beinhalteten, werden dadurch an die Seite gedrängt. So ist der Weg zu einer klimaneu- tralen Wirtschaft und einer resilienten Gesellschaft im Programm zwar angesprochen, allerdings ist unklar, wie angesichts der Einschränkungen des öffentlichen Raumes und der Artikulationsmöglichkeiten zivilgesellschaftlicher Gruppen in der LAK-Region eine nachhaltige Umsetzung gewährleistet werden kann. Doch trotz der ambitionierten Ankün- digungen der GGIA, gilt es auch Faktoren in den Blick zu nehmen, die als Hindernis für die Zusammenarbeit wirksam werden können: Heute ist Lateinamerika eine fragmentierte Region, weiterhin ist es sehr schwierig, einen Konsens über die regionale oder internationale Agenda auch jenseits politischer oder ideologischer Zugehörigkeiten zu erzielen. Die Rolle der Region in Fragen der internationalen Politik ist trotz der Rückkehr Lulas in das brasilianische Präsidentenamt weiterhin gering. All dies beeinträchtigt den Prozess der Neugestaltung der biregionalen Beziehungen und erfordert besondere Anstrengungen auf beiden Seiten. Die offene Flanke: das Mercosur-Abkommen Auch wenn sich der Brüsseler Gipfel nicht speziell mit dem Abkommen zwischen der EU und dem Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) befasst hat, bleibt das EUMercosur-Abkommen der zentrale Gradmesser für die Fähigkeit beider Seiten, zu einer Einigung zu gelangen. Die Verhandlungen ziehen sich seit 1999 hin, und trotz der Ankündigung einer ersten Einigung im Jahr 2019 sind immer wieder Stolpersteine aufgetaucht, die dem Abschluss entgeProf. Dr. Günther Maihold Non-Resident Senior Fellow Stiftung Wissenschaft und Politik Wenn die EU und LAK zu „Partnern der Wahl“ werden sollen, dann bedarf es neuer Impulse für die Zusammenarbeit. genstehen. Spanien, das seit Juli dieses Jahres die sechsmonatige rotierende EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat, hat sich eine erfolgreiche Verhandlung zwischen beiden Seiten auf die Fahne geschrieben. Doch lassen sich an den laufenden Verhandlungen die Dissonanzen zwischen beiden Regionen deutlich nachzeichnen: Brüssel verärgerte die Mercosur-Staaten mit der Aufforderung, verbindliche Verpflichtungen zum Schutz des Regenwaldes und der Arbeitnehmerrechte einzugehen und damit Vorgaben der EU-Entwaldungsrichtlinie umzusetzen. Gegen diese vorgegebenen Standards wendet sich indes der brasilianische Präsident, der auf das nationale Souveränitätsrecht pocht und mögliche Sanktionen und Strafen bei Verletzung der Auflagen ablehnt. Für einige EU-Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament ist jedoch ein solch verpflichtendes "Nachhaltigkeitsinstrument" unerlässlich, um den Mitgliedsstaaten eine Ratifizierung des Abkommens zu ermöglichen. Dies wird von einigen Beobachtern in den Mercosur-Staaten als europäische Arroganz wahrgenommen. Ob gegenseitiges Verständnis und realistische Verhandlungsstrategien hinreichend ausgeprägt sind, um ein klares Signal für eine vertiefte Zusammenarbeit zu geben, wird sich in den kommenden Monaten entscheiden. Für die Vertiefung der europäisch-lateinamerikanischen Beziehungen nach dem Brüsseler Gipfel wäre dies ein wichtiger Impuls. 35

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